Bildung statt Fortbildung
Weit verbreitet ist in Deutschland ein Führungsverständnis, das sein Selbstbewusstsein aus fachlicher Kompetenz ableitet. Dabei wird fachliche Überlegenheit vor allem als Legitimation der eigenen formalen Position und der dadurch legitimierten Macht begriffen.
Die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen hängt aber weit weniger von fachlicher Brillanz ab, als von der Fähigkeit ihrer Führungskräfte, existenzielle Herausforderungen zu antizipieren und genau die Potenziale und Kräfte im Unternehmen zu mobilisieren, mit denen neue Antworten auf neue Fragen gegeben werden können. Und das geht nicht, indem man sich nur auf Fachwissen fokussiert. Personalentwicklung darf sich keinesfalls darin erschöpfen im Rahmen betrieblicher Fortbildungsmaßnahmen nur Fertigkeiten und Fähigkeiten zu vermitteln. Sie muss eben jene Reflexionsfähigkeit stimulieren, ohne die es wahre Entwicklung nicht gibt.
Wesentlicher Bestandteil des Begriffs Fortbildung ist das Wort Bildung. Die vier Buchstaben davor unterstellen, dass Bildung schon vorher stattgefunden hat und im Unternehmen nur fortgesetzt werden soll. Was sich in vielen Fällen als falsche Annahme erweist. Verantwortliche klagen oft über die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, die zum Beispiel junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitbringen. Unternehmen mutieren als Folge davon vielfach zu „Ersatzschulen“, in denen versucht wird, das gewünschte Niveau mit eigenen Mitteln herzustellen.
Auffällig ist, dass es sich bei den dazu bestimmten Angeboten vor allem um fachliche, arbeits-methodische, kommunikations- und führungstechnische Angebote handelt. Hier spiegelt sich das Fachverständnis, über das allein sich viele Führungskräfte definieren. Es werden Fähigkeiten vermittelt und Fertigkeiten eingeübt. Das ist in vielen Fällen nicht falsch. Methodisches Wissen ist unverzichtbar. Fragwürdig werden Fortbildungsprogramme vor allem dadurch, dass sie keinen roten Faden haben, keinen übergeordneten Entwicklungszielen folgen und deshalb beliebig bleiben. Warum und wohin wollen wir unsere Leute entwickeln? Sind die Maßnahmen willkürlich oder folgen sie einem Plan? Und wie begründen wir das? Strategisch? Fachlich? Menschlich?
Die Erfahrung zeigt: Bei vielen Menschen, die im Arbeitsprozess stehen, ist das Bildungsinteresse verschüttet. Sie kommen zu entsprechenden Maßnahmen nur, wenn sie dazu genötigt werden. Sie sind körperlich anwesend, sie geben, einmal dabei, sogar die „richtigen“ Antworten, aber sie verlassen solche Veranstaltungen, ohne davon berührt zu sein und was schwerer wiegt: ohne Fragen und ohne den Wunsch, an den Themen dranzubleiben. Fortbildung ist für sie vor allem etwas, das ihnen verordnet wird. Das ist fatal, denn ohne eigenes Bildungsinteresse erleben viele Mitarbeiter Fortbildung als „Abrichtung“.
Das was den Namen Bildung verdient, muss mehr sein, als eine Anhäufung von Kompetenzen. Es muss vor allem etwas mit der Entwicklung von Urteilskraft zu tun haben, also der Fähigkeit zur Reflexion.
Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die ihnen vermittelten Inhalte und Thesen nicht als stumpfe Handlungsanweisungen verstehen, sondern vor dem Hintergrund eigenen Wissens und eigener Erfahrungen bewerten, deuten und sich aneignen. Deshalb geht es gerade in betrieblicher Fortbildung weniger darum, schnelle Antworten zu geben, als darum die wichtigen Fragen zu stellen und eine Dialogkultur zu entwickeln, in der man gemeinsam zu glaubwürdigen Antworten findet.
Philosophie
In was für spannenden Zeiten leben und arbeiten wir!
Der rasante technologische Fortschritt stellt uns in immer kürzeren Abständen vor neue Herausforderungen. Deshalb kommt es mehr denn je auf die beteiligten Menschen an und ihre Bereitschaft, neue Wege mitzugehen.